Pilgern macht endlich Spass
Die Sonne will es heute wirklich wissen. Bereits um sechs Uhr kitzelt sie mich aus dem Schlaf. Aber nicht mit mir, was soll ich zu dieser nachtschlafenden Zeit schon tun. Da gibt es nicht mal Kaffe zu trinken. Also dreh ich wieder um und schlummere weiter. Ein Stündchen später zieht es mich dann doch aus den Federn und ich mache mich mal taufrisch für einen weiteren Pilgertag. Dann zieh ich los und bevor ich wirklich meine Pilgergeschwindigkeit aufgenommen habe, kehre ich bei der ersten Bar zu. Cornetto Marmelatta, Cappucino und ein Mineral sind jetzt gefragt, nachdem ich gestern nur Salat zum Essen bekommen habe – und das in Italien???
Zügiger Start in den Tag
Dann geht es los. Von Verres aus Richtung Montestrutto. Das heisst ich verlasse heute oder morgen das Aostatal und überschreite die Grenze zum Piemont. Das ist so richtig meine Destination. Das Piemont gehört zusammen mit der Toscana, Burgund und Bordeaux zu den angesagtesten Weinbaugebiete der Welt. Ausserdem sind sie bekannt für ihre ausgezeichnete Küche. So weit sind wir noch nicht. Zuerst muss ich noch einige Kilometer hinter mich bringen. So geht es zuerst flach dahin, bevor ich in die Weinberge aufsteige. Es ist ein wunderbarer Tag, sehr warm und windig. Das macht die Geschichte erträglich. Ich komme gut voran und es gibt einiges zu sehen (Bilder).
Neue Erfahrung gesammelt
Nach ein paar Kilometern werde ich tatsächlich von einem mir fremden Pilger überholt – das ist mir bei meiner Pilgerei-Karriere noch nie passiert – unglaublich was sich der traut. Auf jeden Fall begrüssen wir uns. Er meint, dass er auch nach Rom gehen möchte, aber wenig Zeit zur Verfügung habe. Deshalb das Tempo. Für einen Franzosen gar nicht schlecht. Bald trennen sich unsere Wege und ich mache eine Pause. Ich mag beim Pilgern meine Ruhe und nicht vor oder hinter mir jemanden haben. Das stresst mich eher.
Mehr Besonnenheit unterwegs
In den vier Jahren, seit ich als Pilger unterwegs bin, habe ich mich verändert. Früher rannte ich mit über sechs Kilometer die Stunde durch die Gegend und das noch 40 Kilometer weit am Tag. Das Wort Pause hatte ich nicht in meinem Wortschatz. Mittlerweile geh ich ein wenig langsamer, aber immer noch zügig. Dafür kehre ich heute dreimal in einer Bar zu und gönne mir ein paar Minuten Ruhe. Auch Sehenswürdigkeiten bekommen mehr Beachtung meinerseits. Pilgern macht demütig.
Lauen Sommerabend geniessen
Nach rund 19 Kilometer komme ich Pont-Saint-Martin an, das weltbekannt für seine gleichnamige Brücke ist. Hier hat sich der Heilige Martin mit dem Teufel ein Gefecht geliefert. Ich beschliesse heute hier zu nächtigen und finde eine perfekte Unterkunft in der Nähe des Zentrums. Bei einem so schönen Tag möchte ich nicht in einem kleinen Bauerndorf sein, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Sondern an einem pulsierenden lebhaften Ort die Zeit geniessen.